24. Juni 2018

Die Türe - von Knurrbär

Schon als kleiner Junge hatte er diese eine Türe im Haus ganz oben im 2.Stock nie öffnen dürfen. Vieles war erlaubt gewesen, manches war erwünscht gewesen. Aber diese eine Türe mit ihren zwei kleinen Milchglasscheibchen und dem geblumten Vorhang davor war eine Grenze, die niemals hatte überschritten werden dürfen. Eine Begründung gab es keine. Es war halt einfach so und basta. Gewagt hätte er es eh nicht. Das wäre ein Verstoss gegen etwas riesen grosses ohne Namen gewesen.
So vergingen seine Kindheit, seine Jugend, die Phase der Pubertät und sein Heranreifen zum jungen Mann ohne dass die Türe auch je wieder einmal ein Hauch von einem Thema hätte sein sollen.

Er kehrte oft zurück in jenes Haus, jetzt auch mit seiner Frau und dem niedlichen dreijährigen Jungen. Eigentlich fühlte er sich ganz wohl in diesem Haus, im Erdgeschoss und ersten Stockwerk jedenfalls. Es gab viele Erinnerungen an seine Kinder– und Jugendzeit. Vieles hatte sich auch gar nicht gross verändert in all diesen Jahren. Sogar einige Düfte waren ihm immer noch vertraut und mit vielen grösstenteils schönen Erinnerungen verbunden.

Aber dann kam der Tag, an dem er seinen Eltern versprochen hatte, die Katze für 3 Tage zu füttern, weil sie sich ein paar Tage Wellness für Leib und Seele gönnen wollten.

Es war später Nachmittag und ging wohl eher schon gegen Abend zu als er die Haustüre öffnete, nachdem er den Briefkasten geleert hatte. 

Auf sein Zurufen kam ihm der 15 jährige Kater nicht sofort entgegengerannt, wie das sonst üblich war. Nichts bewegte sich und kein Laut war zu hören, ausgenommen die leisen Geräusche von der Strasse.

Er wusste, dass der Kater bei Abwesenheit seiner Eltern nicht nach draussen durfte und konnte. Also blieb ihm nichts anderes übrig als zuerst die Zimmer im Erdgeschoss und dann diejenigen im ersten Stock zu erkunden. Der Kater kam nicht zum Vorschein und schien auch nicht gewillt zu sein, auf seine schnalzenden Geräusche und das leise bekannte Händeklatschen zu reagieren. Tim war wie vom Erdboden verschluckt. Aber es blieb ja noch der zweite Stock mit den zwei Zimmern, respektive den zwei Türen.

Die ihm bekannte erste Türe öffnete sich wie immer. Nicht abgeschlossen wie immer. Eine riesengrosse Unordnung wie immer - aber eben kein Kater weit und breit.

Seine Hand zitterte, als er den Türgriff der zweiten Türe in der Hand hielt. Zum ersten mal in seinem ganzen Leben. Sollte er wirklich öffnen. Der Kater konnte doch unmöglich dahinter versteckt sein, wie sollte er denn bloss die Tür geöffnet und wieder verschlossen haben.

Sie liess sich gut öffnen, leistete keinen Widerstand. Zudem war kein Geräusch und kein Knarren zu vernehmen.

Er sah einen Raum, der grösser war als der grösste Raum den er je gesehen hatte. Grösser als die Höhlen in Spanien und grösser als der Dom in Mailand. Dunkel war’s in diesem Raum. Dennoch wagte er einen ersten Schritt in Richtung dieses Unfassbaren. Plötzlich erhellte eine kleine Lampe ein Pult, welches zirka 20 bis 30 Meter von ihm weg war. Er ging diesen Weg und war getrieben von Neugier, gepaart von einer unbeschreiblichen Angst. Auf dem Pult fand er einen Zettel auf welchem stand: Willkommen im Land von „Gesichtsbuch 7.0“. Du kannst deinen weiteren Weg wählen:
-1- du bist der Typ Angsthase, willst Mitglied sein und behauptest, dass du das nur machst, weil deine Kids ja auch drin sind. Dabei bist du einfach nur ein Voyeur, einer der schauen will, was andere tun ohne auch nur das kleinste von sich selber preiszugeben
-2- du bist der Typ Pionier, bist Mitglied und teilst Dinge mit Menschen, die sie gar nicht interessieren und die sie gar nie wissen wollen. Weder jetzt noch in Zukunft. Nur die Organisation freut sich über deine Bereitschaft alles preiszugeben, was dein unbedeutendes Leben überhaupt preisgeben kann. Aber viel mal unbedeutend wird auch mal grösser und ist auf dem Weg, einen gewissen Sinn zu ergeben.
! WÄHLE JETZT !

Er konnte den Duft von frischem Filzstift noch riechen.
Ohne genau zu wissen was geschah und was die Konsequenzen seiner Entscheiung sein könnten wurde er getrieben vom Drang zu handeln. Er handete und wählte -1-. Ein zartes blaues Licht erleuchtete mit zunehmender Intensität den gesamten Raum. Ganz weit hinten auf einem Berg sah er einen Mann der zuckerte, mit breitem Grinsen in spitzbübischem Gesicht und einem 600 Dollar teuren T-Shirt, das so aussehen sollte, als hätte er es seit seiner Zeit als Stundent nicht mehr gewaschen.

Dann sah er die Katze, welche mit erhobenem Schwanz in der Linie der Pioniere ganz hinten in der Reihe stand und ihm zuzuzwinkern schien. Danach sah er nichts mehr, sondern er roch diesen Veilchen-Heu-Zitronen Duft der ihn an seinen letzten Urlaub erinnerte und wusste, dass ein langer Weg vor ihm lag und dass das erst der Anfang von etwas war. Von etwas, das durch ein Nichtöffnen dieser einen Türe hätte verhindert werden können. In seinem Innenohr vernahm er von Ferne eine ihm bekannte Melodie aus vergangenen Zeiten. Er fragte sich noch, ob er Katzen überhaupt mochte.

Melodie: https://www.youtube.com/watch?v=LanCLS_hIo4
Foto-Serie: WinDoors - Fenster - Türen - Tore    hier

siehe auch: https://m3wg.blogspot.com/2018/06/die-ture-von-zebramanguste.html



Die Türe - von Zebramanguste

Die Türe öffnet sich...
Sie: «Ich zähle jetzt von zehn bis null rückwärts – zehn – neun - acht... und Sie werden langsam müde, die Glieder, Arme und Beine, werden schwer – sieben – sechs – fünf... auf den Augenlidern scheint Blei zu haften – vier – drei... Sie sind sehr müde und zugleich hellwach – zwei – eins – null.
Sie befinden sich in einem von Fackeln erhellten Gang. Vor Ihnen führt links eine Treppe hoch und rechts eine Treppe hinunter. Welche Treppe wählen Sie, wo soll es hingehen?»
Er: «Ich möchte die Treppe hochsteigen...».
Sie: «Gut, dann gehen Sie links und steigen Sie die Treppe hoch, Stufe um Stufe um Stufe um Stufe... bis zum Ende der Stufen. Sagen Sie mir, wenn Sie oben angekommen sind und was Sie dort sehen?»
Er: « Links hat es ein grosses, bodenlanges Fenster... es führt auf einen kleinen Balkon. In der Mitte führt ein Korridor zuerst etwa zehn Meter geradeaus und verschwindet nach einer Linkskurve aus dem Blickfeld. Rechts sehe ich eine grosse, schwere Holztüre mit eisernen Beschlägen und einer kunstvoll gestalteten Türfalle.»
Sie: «Geht es Ihnen gut? Was empfinden Sie? Was möchten Sie tun?»
Er: «Ja, mir geht es gut... und ich empfinde Neugierde! Ich möchte versuchen ob ich die grosse, schwere Holztüre öffnen kann, ob sie sich öffnen lässt?»
Sie: «Gut, versuchen Sie die Türe zu öffnen»
Er: (nach kurzer Pause) «... die Falle lässt sich herunterdrücken, aber die Türe geht nicht auf; sie ist verschlossen! Aber ich sehe oben rechts am Türrahmen einen grossen Schlüssel an einem dicken Nagel hängen.» (ächzt kurz) «Ich habe den Schlüssel vom Nagel genommen, habe ihn in der Hand und werde versuchen, ob er ins Türschloss passt.» (kurze Pause) «Ja, der Schlüssel passt, lässt sich drehen. Darf ich die Türe öffnen? Ich möchte gerne wissen, was sich hinter der Türe befindet.»
Sie: «Ja, wenn Sie das Gefühl haben, dass es das Richtige ist... tun Sie es.»
Er: «Ich drehe den Schlüssel im Schloss und drücke gleichzeitig auf die Türfalle..., die Türe geht auf, ich drücke am grossen, schweren Türblatt. Ich stehe in einem mittelgrossen Raum mit tiefen Decken, höchstens 170 cm sind es vom Boden bis zur Decke... ich muss mich leicht bücken, sonst stosse ich mit meinen Kopf an die Decke.»
Sie: «Kommt Ihnen etwas in diesem Raum bekannt vor, erinnert Sie etwas im Raum an bestimmte Erlebnisse?»
Er wälzt sich unruhig auf der Liege, die Augenlider flattern. Mit den Händen macht er suchende Bewegungen und reibt gleichzeitig nervös Fuss gegen Fuss.
Er: «Ja, ich bin mir sicher, ganz sicher, dass ich in diesem Raum schon einmal war, dass in diesem Raum Etwas, für mich Etwas ganz Entscheidendes passiert ist – vor vielen Jahren!»
Die Stimme ändert sich während er diese Worte ausspricht sehr stark... jetzt tönt sie erst flüsternd, dann glucksend und die letzten 3 Worte haben etwas extrem Lustiges und Erheiterndes. Die Stimme tönt als hätte er Helium eingeatmet.
Sie erschrickt über diese massive Veränderung der Stimme; noch nie während einer durch sie geleiteten Rückführung war so etwas passiert. Noch nie war so viel Heiterkeit und Freude so real zu spüren, zu hören und jetzt zu sehen.
Er: (mit hoher Heliumstimme) «Sie kommen, in ihren komischen Gewändern von allen Seiten auf mich zu. Sie grinsen verschwörerisch..., sie sind über mir und beginnen....».
« Aus Cut, Szene 17 ist im Kasten. Ihr zwei spielt eure Rollen perfekt. Gratuliere, so habe ich mir diese Szene vorgestellt.» Im Hintergrund ist eine schrille Stimme zu hören, die aufgeregt schreit, «Genau so war es, genau das hatte ich genauso vor etwa 400 Jahren in genau diesen Kleidern, äh Kostümen, in genau so einen Raum erlebt! - Als die Narrengilde den Bogen überspannt hatteund die Narrenfreiheit dazu ausnutze die Obrigkeit, provozierend ohne Narrenkappe zu beleidigen und sich über sie in ungeziemter Weise lustig zu machen.
Sie hatten mich gefoltert indem alle zehn mich auskitzelten bis ich – vor Lachen - immer weniger und schliesslich keine Luft mehr bekam und nach laaanger Zeit erstickte». «Wer ist dieser Wahnsinnige, der solchen Stuss von sich gibt?», fragt der Regisseur in die Runde. Der Regieassistent antwortet: «Herr Regisseur, es ist ein neuer Hilfsbeleuchter, der heute zum ersten Mal bei den Dreharbeiten dabei ist.» « Dann ist heute auch sein letzter Tag, ich kann keinen durchgeknallten Beleuchter brauchen.»
Der Beleuchter verlässt lärmend und fluchtend die Szene und knallt wütend die schwere Eisentüre des Filmstudios zu.
In einem kleinen Zimmer, in einer grösseren Vorstadtsiedlung, fährt eine junge Frau aus tiefstem Schlaf auf. Sie ist durch das Zuknallen einer schweren Eisentüre geweckt worden. Sie reibt sich schlaftrunken die Augen und fragt sich, ob sie die Szene mit der Rückführung, die eine Filmszene war, den Anfall des Beleuchters, der glaubte, dass sich dies genauso abgespielt habe und er vor 400 Jahren gestorben sei, geträumt oder wirklich erlebt zu habe.

Oder ob sie vielleicht der Narr war, der zu Tode gekitzelt wurde?! Die Türe schliesst sich....


siehe auch: https://m3wg.blogspot.com/2018/06/die-ture-von-knurrbar.html