30. März 2013

Erstens-zweitens-drittens / von Knurrbär


Es schien, als stünden sie in einem Kreis in dessen Mitte er sich befand. Es waren nicht die Gesichter die sich in seine Erinnerung einbrannten. Es war dieses Gemurmel, dieser Brei aus Stimmen, die auf ihn einprasselten. "Geh doch einfach mal hin", "Du wirst sehen, er weiss was Du brauchst", "Du musst doch etwas ändern", "Probiers doch einfach mal aus", "Du wirst sehen ....".

Die nächsten Tage schleppten ihn von der Wohnung zum Bus, vom Bus zum Arbeitsplatz und vom Arbeitsplatz zurück in die Wohnung. Er achtete darauf, Blickkontakte in der Öffentlichkeit zu meiden und einfach nur so vor sich hin zu glotzen oder das Spiel zu spielen, dessen einzige Regel darin bestand, so zu tun als freue man sich an den Bäumen und Hausmauern, die im fahrenden Autobus an einem vorbeizogen. Vielleicht war das alles auch einfach überflüssig, denn die meisten Menschen, die er sah, spührte oder roch waren mit sich und ihrem Smartephone so stark beschäftigt, dass er weder auffiel noch wahrgenommen wurde. Er war einfach einer, der den Platz eines andern beanspruchte und in diesem Sinne nicht wirklich willkommen war in der Gemeinschaft der Busfahrer.

Er fand die angegebene Hausnummer in der Altstadtgasse rasch und problemlos. Die Klingeln waren beschriftet. D.T. 2. Stock. Das musste es sein. Er hatte das Gefühl, dass er ein wenig klebrige Hände hatte und er spürte einen raschen Puls, während ihm die Kinderschuhe vor der der Türe des 1. Stocks auffielen. Nach ein paar weiteren Stufen sah er in altmodischen goldenen Buchstaben an der Türe geschrieben: Der Trommler - Eintreten ohne zu klopfen.

Während dem er den Atem ein wenig zu beruhigen versuchte probierte er sich nochmals vorzustellen, wie der Trommler wohl aussehen möge. Bart in der Art selbsternannter Koranprediger mit Schweizer Pass, wenig und strähniges Haar, wache blaue Augen, freundliches Lächeln und ein kräftiger Händedruck. Trommler haben ganz bestimmt kräftige Hände.

Er überlegte sich, ob er die Türe mit einem Ruck öffnen oder eher die leise und bedächtige Art wählen sollte. Er entschied sich für Variante zwei. Die Türe knarrte leise und er sah, dass die ganze Wohnung aus nur einem Raum zu bestehen schien. Es war dämmerig, was von hellbraunen zugezogenen Vorhängen an den Fenstern herrührte. Mitten im Raum stand eine grosse Trommel, daneben zwei bis drei grosse einladende Kissen am Boden und auf einem kleinen Tischchen befanden sich drei, vier Bücher auf einem Stapel, ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit sowie Schreibpapier und Schreibwerkzeug. Sonst gab es nichts. Kein Bild, keine Pflanze - einfach nichts.

Erst jetzt bemerkte er in der hinteren linken Ecke eine Türe, welche sich langsam und fast geräuschlos – einem lauen Luftzug gleich - öffnete. Ein kleingedrungener glattrasierter Mann mit sehr kurzen dunklen Haaren trat bedächtig ein und setzte sich auf eines der Kissen am Boden. Er deutete an, dass sich sein Gast auch setzen solle. Es waren diese Augen und dieser alles durchdringende Blick, welcher nicht weichen wollte, der ihn in den Bann zog. Ein Blick, dem er nicht auszuweichen vermochte. Es hätten Minuten sein können, die so vergingen. Dennoch musste es sich wohl eher um Sekunden gehandelt haben.

Der Trommler hob seine linke Hand auf Brusthöhe und streckte den Daumen nach oben. Langsam aber sehr bestimmt sagte er mit tiefer aber dennoch leiser Stimme:
„Erstens: Ich weiss, wer Du bist. Ich kenne Dich“
Dabei berührte der Zeigefinger seiner rechten Hand den Daumen.
„Zweitens: Ich weiss genau, was Du brauchst“
Und diesmal berührte der Zeigefinger der rechten Hand den soeben nach oben gestreckten Zeigefinger der linken Hand.
„Drittens: Wirst Du genau das tun, was ich Dir sage“

Danach erhob er sich vom Kissen und ging zwei drei Schritte Richtung Trommel. Er hob den rechten Arm und schlug mir der flachen Hand auf das Fell, hob wieder die Hand und holte zu einem zweiten und dritten Schlag aus. Klang – Pause – Stille. Klang – Pause – Stille. Klang – Pause – Stille.
Es waren diese Pausen zwischen Klang und Stille die ihn beunruhigten, die ihn erschauern liessen und ihm Angst einflössten.

Da war dieser kühle nieslige Dienstagmorgen, an welchem er aus seinem Traum erwachte und diesen jetzt schon fast erkühlten Schweiss hinten am Hemdrand seines Pyjamas verspürte. Die Dusche vermochte nicht all die Bilder und Geräusche des Traums wegzuspülen, welche ihn noch den ganzen Tag wie einen milchglasigen Schatten begleiteten.
Im 17:35 Bus drängten sich die Fahrgäste, blätterten in Gratiszeitungen oder beschäftigten sich mit ihren mobilen Telefongeräten. Langsam wurde der Tag ein ganz normaler Tag, endlich wichen die Traumbilder und gaben neuen Farben und Geräuschen Platz. Endlich wurde es ein bisschen luftiger und tat gut, so wie eine angenehme Brise nach einem schwülen und klebrigen Sommertag.

Vier Haltestellen später vibrierte sein Handy. Neue SMS. Zuerst wurde sein Puls schneller und ging schon bald in ein Rasen über. Sein Mund wurde trocken. Er las „Erstens: Ich weiss, wer Du bist. Ich kenne Dich“. Seine Hand begann zu zittern, während dem er hastig weiter las. Sofort streifte sein Blick durch den vollen Autobus und ihm war als sah er, nur ganz kurz und ganz hinten einen Mann mit einem leicht zerfransten Bart, strähnigem Haar und strahlend blauen Augen. Ein Hauch eines Lächelns lag auf seinen Lippen.

Er musste sehr bleich geworden sein und draussen war wohl irgendwie Frühling.

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