22. Dezember 2014

Monolog: Eine fast wahre Geschichte / von Zebramanguste



Manchmal bin ich ein wenig neidisch; neidisch auf die Gebäude die links und rechts oder und auf der andern Strassenseite stehen. Sie sind grösser als ich, imposanter oder architek-tonisch interessanter. Sie haben interessantere Dachkonstruktionen, passendere Fenster, breitere Treppen, grossflächigere Balkone oder die Hausumgebung ist liebvoller gestaltet.
Da mich diese Vergleiche jeweils deprimieren, versuche ich meine Vorzüge höher einzu-stufen, mich ein wenig „grösser“ zu machen.
Klar, auch ich habe meine Vorzüge, meine interessanten Seiten. Aktuell bin ich das Botschaftsgebäude eines karibischen Staates, mitten in einem Stadtquartier, nahe vom Bahnhof. Täglich kann ich verfolgen, wie Leute, die meistens spanisch oder englisch sprechen ein- und ausgehen. In der Regel wird das elektronische Tor aus den Fahrzeugen bedient und die gepanzerten Gefährte mit hochrangigen Diplomaten fahren entweder weg oder kommen an. Ankommende werden direkt vor das Gebäude, vor den Treppenaufgang gebracht, wo sie, nachdem sich der Flügel des Tores geschlossen hat, aussteigen und mich, das Haus betreten.
Unter meinem Dach haben aber nicht immer karibische Diplomaten gewohnt.

Im Jahr 1878 wurde mit meinem Bau begonnen. Noch im gleichen Jahr wurde ich fertiggestellt. Viele Bauarbeiter, damals noch fast ausnahmslos bernischer Herkunft, haben mich ab Februar bis Ende Jahr aus verschiedenen Gesteinen und viel Holz erbaut und mir die heutige Grundstruktur gegeben.

Ab Anfang 1879 hat eine reiche Fabrikantenfamilie in mir gewohnt.
Mit drei Kindern sind der Herr Fabrikant und sein Frau eingezogen, zwei weitere sind später dazu gekommen. Es ging oft wild zu und her, die Betreuerinnen wurden von den Kindern stark gefordert. 1914, mit dem Beginn des 1. Weltkrieges hat sich das Haus rasch geleert. 1911 ist die alte Dame gestorben.  Am Ende hat nur noch der alte Herr in mir gelebt und ein einziges Zimmer genutzt.
In den folgenden Jahren wurde durch viele Familien, Paare und einmal durch eine ältere, alleinstehende Dame bewohnt:
Anfang 1916 hat mich ein älteres Ehepaar gekauft und ab Frühling 15 Jahre lang in mir gewohnt: Sie habe vor allem die Sommerabende auf der Terrasse genossen. Ihnen war es sehr wichtig, nahe des Bahnhofs und der Stadt zu wohnen. Ich habe nur gute Erinnerungen an diese Jahre; die Beiden habe viel Sorge zu mir getragen und mein grosses Raumangebot geschätzt.
1931 erfolgte ein abrupter Wechsel. Offenbar ist das ältere Ehepaar bei einem Unfall ums Leben gekommen und hinterliess weder Erben noch ein Testament. Fast 5 Jahre stand ich leer. Ich fühlte mich nutzlos, war einsam und vielen Raben die täglich auf meinem Dach landeten und sich lautstark unterhielten waren nicht was ich mir wünschte: Endlich wieder von Menschen bewohnt zu werden!
Schliesslich hat die Stadt Bern, als neue Besitzerin, Anfang 1936 verfügt, dass 3 Familien mit insgesamt 7 Kindern im Alter von 2 bis 15 Jahren meine Räumlichkeiten bezogen. Es folgten hektische Jahre. Aber trotz dem Lärm, den Streitereien und kleineren Sachbe-schädigungen durch die Kinder fühlte ich mich wieder „lebendig“ und mir war fast Alles recht, wenn ich nur Leue beherbergen durfte.




Der Weltkrieg ab 1939 bis 1945 hat zu vieles verändert. Weil Vieles nicht mehr zu bekommen war, konnten viele notwendigen Reparaturen an meinem Äusseren und Innern nicht gemacht werden, sodass nach über 60 Jahren starke Abnützungserscheinungen unübersehbar wurden. Aber es sollte noch über 4 Jahrzehnte bis zur Renovation dauern.

In diesen über 40 Jahren haben viele, viele Personen meine Räume bewohnte, haben Paare sich gestritten und geliebt, Kinder sich gezofft und wenig später zusammen gespielt und Einzelpersonen einfach in mir gewohnt. Trotzdem mein Zustand durch die vielen Wechsel stark gelitten hat, Fenster undicht, die Fussböden uneben wurden und Vieles mehr… ich habe jeden einzelnen Tag genossen an dem Menschen in mir wohnten.

So wurde ich ab Frühling  bis November 1988 total renoviert und fast wie neu gemacht. Ich war soo stolz und hätte vor Freude platzen können über mein neues Gewand, meine ausge-bauten und runderneuerten Zimmer und andern Räumlichkeiten, über das neue Dach, den wetterfesten Anstrich und vieles mehr.
Leider folgten nach dem Umbau weitere 3 einsame Jahre. Niemand wollte oder konnte in mir wohnen. Immer noch war die Stadt Bern Besitzerin und ‚will viel zu viel Miete für ein altes Gebäude, welches für zu viel Geld, viel zu aufwendig renoviert wurde‘.
Ende 1991 kam die Wende zum Besseren: Der zu Beginn erwähnte, karibische Staat wollte nicht länger im Botschaftsquartier bleiben und suchte ein passendes Gebäude. Viele Male
kamen Leute und besichtigten mein Raumangebot, die Infrastruktur und die Umgebung.
Vor allem an der Umgebung ist die Uebernahme damals fast gescheitert. Da es sich um einen kommunistischen Staat handelt, ging es nicht ohne umfangreiche Sicherheitsmass-nahmen. Aber Mitte 1991 war es soweit: Nach zusätzlicher Installationen von insgesamt 25 Kameras, 7 Antennen und ferngesteuerten Toren und einem absolut schalldichten Raum erfolgte der Umzug, resp. Einzug in meine Räume.
In den letzten Jahren habe ich eine andere, neue Mentalität kennen gelernt: Viel Lebens-freude und Stolz, gepaart mit einer grossen Portion Misstrauen gegenüber allen Anderdenkenden.
Insgesamt bin ich froh, dankbar, nein stolz, dass ich seit fast 25 Jahren eine Botschaftsvilla bin. Nur beginnt es zu zwicken, eine erneute Renovation wichtiger Teile wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren unbedingt fällig!

zu den Autoren - mehr über diesen Blog: http://m3wg.blogspot.ch/2012/12/idee-konzept.html