20. Oktober 2013

Düfte / von Knurrbär



Er musste wohl schon eine ganze Weile vor sich hin gedöst haben, an jenem warmen Sonntagnachmittag im August. Die Sonne musste sich verschoben haben, denn die Füsse brannten von der direkten Bestrahlung. Es war einer dieser Halbwach – Halbschlaf Nachmittage, an welchen sich Traumbilder mit real gedachtem zu kurzen, sich wechselnden Sequenzen vermischten und in seinem Hirn hin und her hüpften; einmal hervor lugten, um dann sofort wieder zu verschwinden um dann neuen Bildern Platz zu machen. Einen tieferen Sinn oder einen roten Faden konnte er ohne professionelle Unterstützung nicht ausmachen, was ihm in Tat und Wahrheit so ziemlich egal war. Er liebte sie einfach - diese ausgedehnten Gedankenspaziergänge – Punkt.


„Farben und Düfte sinnlich und spielerisch erfahren“ – ein Seminar im Rahmen der Vorbereitungskurse „Pensionierung – und was nun“ – bezahlt vom Arbeitgeber.
„Farben und Gerüche spielerisch erfahren, da muss ich halt wohl hingehen“ murmelte Lorenz leise, sehr leise und sich langsam aus der Traumwelt lösend vor sich hin und versuchte mit noch noch langsamen Bewegungen, eine Wespe, welche sein Gesicht umtanzte, zu verscheuchen.

„Was hast Du soeben gesagt“? „Über welche Gerüchte sprichst Du da“? Klara musste sich wohl irgendwo im Wohnzimmerbereich befinden. Er ignorierte diese Frage mit konzentriertem Schweigen und tiefen Atemzügen, um den unweigerlich anstehenden Nachfolgefragen wie „Davon hast Du mir ja noch gar nichts erzählt“, „Mit mir sprichst Du ja nicht darüber“, „Bist ja immer so verschlossen“, „Du weisst doch, dass mich Gerüchte interessieren – da ist auch immer etwas Wahres dran“ zu entfliehen.

Und tatsächlich schaffte er es, nachdem er die Füsse an eine andere Position versetzt hatte, sich wieder auf einen Gedanken-Traum-Spaziergang zu begeben, um diesmal in eine Vergangenheit einzutauchen.

Es war späte 68-er Stimmung. Die einen waren dafür, viele dagegen und einige irgendwo dazwischen. Politischer und gesellschaftlicher Aufbruch, Rock’n’Roll und biedere Bürgerlichkeit prallten aufeinander und dazwischen war eine Generation, die sich ihre Jugend im ganzen Drum und Dran nicht versauen lassen wollte. Es war in diesem Kellergeschoss eines dieser neu hingestellten Wohnblocks, in denen der Andreas aus dem Kellerabteil seines Vaters einen engen Partyraum hingezaubert hatte. Plattenspieler – zwei, drei rote Glühbirnen und ein paar Hippie-Tücher an der Wand und ein Poster eines Rock-Stars. Es roch nach miefigem Keller – obwohl das Haus neu sein musste - und später beim Eintreffen der Freunde und vor allem bei den jungen Frauen – nach Parfüm oder genauer hauptsächlich nach Patschuli, welches sich ein paar Stunden später mit der Geruchsbegegnung „Schweiss – Nylonhemd“ vermischen sollte. Rolling Stones, Rock’n’Roll und Elvis dominierten die Party-Stimmung, obwohl progressiv denkende bereits von ganz anderer Musik sprachen.
Die jungen Männer kannten das Zeichen, welches der Disc-Jockey geben wollte, bevor er die erste Schmuse-Nummer auflegen würde. Genug Zeit, sich strategisch an die richtige Position des Kellers zu bewegen, um dann ….
… und dann kam sie! Die Mutter der Anne-Marie. Einfach so und ohne Anmeldung. Die Hand hochgestreckt präsentierte sie freundlich und ein bisschen verlegen lächelnd eine grosse Menge fein säuberlich aufeinander gestapelter Sandwiches, welche vor allem bei den heranwachsenden jungen Männern so einiges in Schwung brachten. Und da lag sie nun, die ganze Pracht – alles nur Sandwiches mit Salami, Gurken und ein bisschen frisch geschnittenen Zwiebelringen. Zugreifen oder ablehnen? Das hing nun ganz davon ab, wie sich die Anne-Marie und die andern Mädchen verhalten würden, um nach einer kurzen Verschnaufpause und einem weiteren Rock-Song auf das vereinbarte Zeichen des Disc-Jockey erneut und hoffentlich ohne weitere Unterbrechung warten zu können.


Wieder machte sich eine Wespe daran, Lorenz ein bisschen näher in die Gegenwart zu bringen, damit ein kurzes Handwedeln die Situation – für kurze Zeit wenigstens – klärte.


Schon als kleiner Bub mochtest Du den Duft des frisch gebackenen Brotes. Das hatte ihm seine Mutter in allen Phasen des Heranwachsens immer wieder gesagt. Nach 3 Jahren Lehre beim Bäcker Huber wurde er festangestellt. Nicht jeder hatte damals diese Chance. Aus Huber wurde Huber+Huber, dann Huber-Huber und Sohn und zuletzt Huber’s Backstube mit unzähligen Filialen und weiteren Grosskunden in der ganzen Schweiz. Und er war immer dabeigewesen – zuletzt als Leiter der Schicht-1, der wichtigeren! Und jeden Tag hatte er – zuletzt zwar nur noch Stichproben-weise – an den Backwaren geschnuppert und gerochen. Das war seine Art der Qualitätskontrolle. Keiner konnte das besser als er.


Er schrak auf. Warum träume ich in der Vergangenheit? Ganz so, als ob ich nicht mehr mit dabei wäre? Der Puls ging rasch. Nur nichts der Klara sagen. Bleib einfach mal schön ruhig.

Langsam stand er auf, rieb sich die Augen, streckte die Arme in die Luft und holte ein paarmal tief Luft. Am Montag melde ich mich an zu diesem Schnupper-Seminar. Es ist wirklich an der Zeit, mal andere Gerüche – oder waren es Düfte und wo liegt denn da der Unterschied - zu entdecken. Vielleicht eine Schnupperstunde in der Parfümerie, ein Riechseminar mit Weinverkostung oder ein Rundgang durch den Basler Zolli.  Vielleicht noch einmal Salami mit Zwiebeln oder vielleicht etwas ganz neues. Und Farben, die möchte ich auch entdecken – muss raus aus des Bäckers braun!


Er wurde langsam etwas ruhiger und das erneute Summen der Wespe – oder war es eine Biene - bohrte sich ins Zentrum seiner Gedanken. Von drinnen her zog ganz fein der Duft des angebratenen Sonntagsbratens nach draussen und er verspürte unvermittelt dieses zwar immer wiederkehrende aber dennoch über Jahr als sehr angenehm und vertraut empfundene Sonntag Spätnachmittag Gefühl.      


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Düfte / von Zebramanguste



Der Sommer duftet am schönsten!

Sie haben sich seit der Schule nicht mehr gesehen, treffen nach fast zehn Jahren zufällig in der Kleinstadt aufeinander…
„Hast du dieses Sonnenuntergangsfarbenfeuerwerk gesehen, diese Farben, Wahnsinn?“ fragt er und schaut noch immer verträumt dorthin, wo die Sonne vor kurzer Zeit zwischen zwei Hügeln in der Ferne das Himmelszelt verlassen hat. „Ja, es war spektakulär und wunderbar anzusehen, aber am Sommer liebe ich eher die guten Düfte, die sich je nach Temperatur stark verändern können und mal extrem intensiv, dann eher lau und flach wahrnehmbar sind“ entgegnet sie. „Den Duft der heute Alles erfüllte, der mir wohlig wehenden Schleiern gleich um die Nase wehte – schwer und süss, zugleich leicht schwebend und sinnlich – möchte ich einfangen können und in kleine, durchsichtige Glasröhrchen abfüllen können. Gerne würde ich dieses unsichtbare Wunder luftdicht in klaren Gefässen festhalten und mir dann vorstellen, wie der Duft darauf wartet - an kalten, tristen Wintertagen - von mir befreit zu werden und… - der sommerliche, leicht nach honigriechende Lindenblütenduft die raue, eisige Winterwirklichkeit vergessen macht!“

Er lächelt leicht und meint verträumt „eine schöne Vorstellung und ich möchte im Winter, wenn’s unangenehm kalt ist, dass mir der würzige, nach vielen unterschiedlichen Kräutern riechende, sommerliche Heuduft die Naseninnenwände sanft und neckisch kitzelt.“  - „Auch im Frühsommer gibt es einen Duft, der mich aufwühlt, auf den ich mich jedes Jahr auf’s Neue freue. Er stammt ebenfalls von Baumblüten. Auch die Bienen wissen, was gut ist und produzieren allein aus den süssriechenden, kleinen, weissen Akazienblüten herrlichen Honig“ erklärt sie mit grossen, erfreut glänzenden Augen und sich leicht kräuselnder Nase. – „Ja, dieser Honig schmeckt wirklich gut… fast so gut wie Lavendelhonig, den ich sehr mag“, klärt er auf, „aber noch lieber rieche ich die Lavendelblüten, am liebsten die ganzen Felder in der Provence, wo sich tausende von Blüten im auffrischenden Mistral  wiegen.“ Sie schaut ihm mit neugierigem Blick direkt in die Augen „ich habe gar nicht gewusst, dass du so romantisch bist, dass du deine Umwelt so bewusst und interessiert wahrnimmst, dass du von all den wunderbaren Dingen, die uns umgeben so viel aufnimmst und für dich auch wertest. Ganz ehrlich, ich habe dich eher oberflächlich in Erinnerung – einfach ein Typ, wie jeder andere auch, nein, wie fast Alle.“ – „So kann man sich täuschen, mir ging es nämlich mit dir genau gleich; nie hätte ich gedacht, dass du Lindenblütenduft in so träumerisch schöne Worte packen kannst und dabei mit glänzende Augen in eine Welt blickst, die du genau zu kennen scheinst.“ – Sie: „Was kommt dir in den Sinn, wenn ich das Wort „Organgenblütenduft“ sage?“ – Er: „Oh, eine ganze Menge… er kitzelt meine Nase angenehm, wenn ich abends einen Tee trinke, damit ich gut schlafen kann. Nicht nur zum Trinken schmeckt er einfach hervorragend, er riecht, auch äussert angenehm…, kurz ich liebe den Tee und giesse ihn am liebsten mit getrockneten Blütenblättern aus der Drogerie auf.“ – Sie: „Ich habe richtig Lust auf einen Orangenblütentee, was meinst du, gehen wir in der Gartenwirtschaft da vorn eine Tasse zusammen trinken?“ – Er: „Ich wohne nicht weit von hier und würde dich gerne einladen, einen von mir zubereiteten Orangenblütentee mit mir zu trinken. Morgen könnten wir uns dann bei dir bei einem Akazienhonigbrot Gedanken machen, wie wir den Lindenblütenduft in die die durchsichtigen Gefässe bringen, damit du auch im kalten Winter nicht auf deinen Lieblingsduft verzichten musst.“

Sie: „Au ja, und übermorgen gehen wir vor die Stadt und lassen uns den sommerlichen Duft des frisch gemähten Heus um die Nase wehen.“ 

D
er Sommer duftet am schönsten!




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