Paul Peter –
und wie er diesen Namen nicht mochte – machte sich auf den Weg. Wie immer, wenn
sie sich vereinbarten, wurden Treffpunkt und Zeit so geheim wie möglich
gehalten. Kein Facebook, kein Twitter, kein WhatsApp. Ganz herkömmliche SMS mit
codierten oder halt vereinbarten Stichwörtern genügten.
Er hatte
vorher noch mit der Familie ein weiteres Nachtessen in gereizter Stimmung
eingenommen. Immer die gleichen Spielchen, immer die gleichen Reizthemen und
Sprüche und immer die gleichen kaum korrigierbaren Meinungen.
Einziger
Trost war Kater Fridolin, der sich schnurrend unter dem Tisch von Bein zu Bein
schlängelte und schmiegte, zwischendurch eine streichelnde Hand erhoffend. Es
war eh der Fridolin, den er in diesem Haus überhaupt noch so richtig mochte.
Der einzig wahre Freund, der dann verstand, wenn andere das Handtuch warfen.
Als man sich
vom Stuhl erheben durfte, so war das Brauch, begab er sich in sein Zimmer, um
im Internet noch rasch die Mails abzurufen und ein paar Statuseinträge im
Facebook zu sichten.
Warum nur
fiel heute sein Blick auf dieses Spielzeug-Polizeiauto im Gestell neben dem
Bett, das er damals wohl kaum sechs jährig erhalten hatte ? Er wusste zwar nicht mehr allzuviel von
dieser Zeit, viele Details kannte er besser von den Erzählungen der Eltern.
Ganz mächtig stolz soll er gewesen sein auf seinen Vater, wenn dieser von der
Arbeit kam – immer in Uniform und manchmal gar mit dem Polizeiauto. Seine Augen
sollen gestrahlt und gefunkelt haben, wenn ihn sein Vater auf den Schoss nahm
und ihm die eine oder andere Geschichte aus seinem Berufsalltag in blumigen
Worten schilderte.
In der Schule
dann traf er auf andere Jungs, die viel anders dachten als er und wie er es sich
gewohnt war. Da sich alle in der Clique nicht sonderlich freudig mit Lernstoff
und Hausaufgaben beschäftigten und lieber den einen oder andern Bubenstreich
planten und durchführten und alles, was zu Hause lief als Scheisse
betrachteten, wurde auch er immer mehr mit einer Lebensart konfrontiert, die
derjenigen der Familie völlig widersprach.
Ich mag
meinen Vater oder ich bin stolz auf meinen Vater oder ich liebe meine Mutter wurde
zunehmend aus dem Denken verbannt. Zu oft witzelten seine Kollegen über
Polizisten und deren ausschliessliche Blödheit. Und die zwei jüngeren Schwestern
waren eh abgemagerte Hühner, die sich
gackernd all den Top-Model-Shows hingaben und das Taschengeld damit vergeudeten,
völlig überteuerte Kosmetik- und Schmink-Utensilien zu beschaffen.
In der Clique
akzentuierte sich die Ablehnung von Gesellschaft, Kleinbürgertum und stupider
Gewöhnlichkeit zunehmend und schwappte nun öfter in offenen ungefilterten Hass
über. Ein ausartender grenzenloser Hass, immer häufiger nach dem Konsum von
viel, viel zu viel Alkohol.
In den letzten
Wochen und Monaten waren nicht nur die abzulehnende herrschende Gesellschaft,
sondern auch immer öfter die gesetzlichen Vertreter und Vollstrecker dieser
Gesellschaft das prägende Thema von Saufpartys. Es wurden Dinge geplant und
durchgeführt, die das Mass der Bubenstreiche von damals deutlich übertrafen.
Aber sie
planten immer zusammen, sie hielten zusammen und waren die verschworene und
berüchtigte Gruppe im Dorf, von der viele wussten, dass es sie gab, aber keiner
so genau, wer denn alles dazugehörte.
Sie sagten von
sich, dass ihr Credo die absolute Freundschaft sei und das gemeinsam durch dick
und dünn zu gehen. Und er glaubte es. Und er brauchte es. Bis an jenem Tag als
er merkte, dass er plötzlich nicht mehr in all ihre Pläne eingeweiht wurde. Es
kamen erste Zweifel auf die er zuerst verscheuchen wollte. Doch sie blieben und
gingen nicht einfach weg.
Besoffen und
hinterlistig lächelnd hatte ihm der Gerhard gesagt: Du hast Dich immer noch
nicht richtig entschieden auf welcher Seite Du stehts, feige wie Du bist. Und
gegrölt hatten sie all die andern, bis auch ihm nichts anderes mehr übrigblieb,
als mit zu lachen über sich selber und das, was sie auch immer gemeint haben
könnten. Und der Konrad setzte einen oben drauf und meinte: Wirst es ja bald spüren
und dann wissen wir, wo du wirklich stehst, Verräter !
Das mit dem
Verräter hatte weh getan. Brennend fest weh getan hatte das. Dem Fridolin ins
Fell geheult hatte er damals, halb besoffen und unendlich tief traurig.
Warum war ihm
das nun alles wieder durch den Kopf gegangen, das mit dem Spielzeugauto bis zu
jener Nacht?
Er las
nochmals kurz die SMS und machte sich dann auf den Weg. Sich von Leuten die man
mag verabschieden tönt üblicherweise anders.
21:45 in der
Kehre oben beim Wald. Bier hinter dem Holzvorrat beim Picknick-Platz: so
lautete die SMS.
Es war
Vollmondnacht. Alles ganz leicht zu finden. Keine verräterische Taschenlampe
notwendig.
22:15 war er
immer noch alleine. Keiner war da. Keine SMS wurde beantwortet und den heutigen
Plan hatten sie ihm auch nicht anvertraut. Warum heute nicht und sonst doch
immer ?
22:50 lagen 3
Flaschen Bier am Boden und keiner war da, der das mit ihm geteilt hätte. Nur
ein Mond der leuchtete und ein paar Sterne, die ganz klein und unscheinbar
daneben wirkten. Kein Ufo, das landen wollte und wohl zu spät für heimkehrende
Flieger mit glücklichen Touristen aus fernen Ländern. Einfach nur schwarz und
ein bisschen hell dazwischen. Weisse statt schwarze Löcher eben.
Er konnte die
Gedanken nur schlecht ordnen, zu viel brauste durch seinen Kopf. Die
Gefühlslage kippte von Ratlosigkeit und Zweifel in Wut, in kochende Wut.
23:35
schleppte er sich bei schönstem Vollmondlicht und nach 3 weiteren Bier langsam
nach Hause. Schon von weitem sah zwischen der Zufahrtsstrasse und dem Hauseingang
ein etwas auf dem Boden liegen. Sein Herz begann wild zu pochen. Es lag immer
noch da – bewegungslos. Sein Mund wurde trocken. Seine Knie begannen zu zittern
und wollten schier nachgeben. Es wurde ihm übel. Er musste sich übergeben und nur
ein Gedanke durchzuckte ihn, während die Stirne vom heissen Schweiss ganz nass
geworden war: Ich weiss wo ich stehe, ich hab mich entschieden – Fridolin.
Anfang des
Endes
Es war an
jenem 23. September als er sich entschloss und anfing, dieser alten Geschichte ein
Ende zu geben, indem er diese Geschichte in der er-Form auf Papier brachte,
nachdem er sich – per Zufall entdeckt – das Stück „Epidaph von King Crimson“
angehört hatte. Er hätte gern gekuschelt dazu, doch es war niemand da ausser
ein Schreibprogramm und ein PC. Eine Geschichte ging nun zu Ende um einer neuen
Platz zu machen. Es war auch das Ende einer Vollmondnacht, als er kurz vor dem
Speichern den letzten Punkt im Schreibprogramm gesetzt hatte.
Epidaph http://www.youtube.com/watch?v=WjnqXixnh3E
Epidaph http://www.youtube.com/watch?v=WjnqXixnh3E
Weitere Infos zu den Geschichten /Index - Geschichtenverzeichnis - zu den AutorInnen:http://m3wg.blogspot.ch/2012/12/idee-konzept.html