Kein Thema !
Was ist Thema und was ist kein Thema und was ist absolutes no-go
Thema. Für mich. Für die andern. Für die ganz andern. Walter kratzt sich am
Kopf, am Bauch, am Rücken und diskret ein bisschen am Po. Es juckt in letzter
Zeit – nicht immer – aber es juckt immer öfter. Und dennoch befasst sich Walter
mit dem Thema, dass Thema ein Thema sein kann oder halt auch nicht.
„Kein Thema“ ist arrogant, abgehoben und einfach nur frech. Da zwingt
einer doch einfach dem andern auf, über was gesprochen wird und über was nicht.
Halloo! Lass ich mir doch nicht gefallen. Ich nicht !
Warum heisst Du Walter, Walter? Fragt einer und lächelt. Süffisant,
verspielt aber auch einfach ein bisschen frech und vorwitzig und sehr provokant
noch dazu. Und ich soll jetzt darauf antworten, soll mich rechtfertigen und
soll mich in meine Eltern hineinversetzen, welche mir genau diese Frage nie
beantworten konnten und das bis heute vielleicht sogar bereuen würden, würden
sie denn noch leben. Haben sich ja auch nie voll in mich hineinversetzt und
gefühlt, wie es ist, Walter zu heissen in einer Zeit … ach was solls. Hätte ja auch einfach Erich, Wilfred oder
Gustav heissen können und das wäre genau so Scheisse gewesen wie Walter und
mein Leben wäre irgendwie genau gleich verlaufen oder ähnlich jedenfalls.
Kannst Du mir bitte einen Franken geben – für die Notschlafstelle, für
das Zugbillet oder für eine Zigarette oder ein halbes Bier ? Halbes Bier – und
wo ist die andere Hälfte ? NEIN ! Oder hätte ich sagen sollen – nein danke ! Schaut
mir einfach nochmal ganz ganz frech ins Gesicht und hört einfach nicht auf zu
gucken. Ich will überhaupt nicht so frech angeguckt werden. Ich will, dass der
jetzt einfach weg guckt. Sofort und gleich und für immer oder zumindest für
heute Abend. Walter schwitzt, zittert und ist ein wenig aufgeregt. Walter
möchte darüber sprechen. Keiner im Bus, der ihm zuhören will, keiner zu Hause,
der ihm zuhören will und Winnetou, der Kater Mikesch oder der
Nachrichtensprecher im ARD (Walter mag ARD lieber als SRF) kichern leise …
Walter … Du und Dein Name – das ist doch einfach kein Thema. Es juckt wieder
und Walter kratzt sich das Jucken weg. Geht schon vorbei – kein Thema aber
warum nervt mich das denn so sehr, wenn einer sich ein Fränkli erschleichen
oder erlächeln will ?
Walter liest, dass da wieder Wahlen waren. In Zürich. Die in Zürich
sind immer früher als die Berner, Basler oder Urner und sie wissen schon, woher
der Wind weht (oder machen halt den Wind winden oder sonst furzt man halt mal
einen in die richtige oder falsche Richtung). Dass es in der Schweiz ganz viele
Menschen und Familien gibt, die sich kaum vernünftig und schuldenfrei über
Wasser halten können, das ist für die da einfach kein Thema. Und dass die dann
in ihrer Verzweiflung und Trauer und nach einer schönen Nacht mit Vögeln, sonst
guten Tieren oder berauschenden Träumen dann nach ein paar Monaten die Frage
stellen müssen, wie soll denn dieser Zwerg da heissen ? Walter werden sie ihn
nennen, diesen Zwerg, der eigentlich nicht der Ursprung eines tiefen Wunsches
ist, sondern einfach nur das Resultat der ganz natürlichen Aufgabe, die fast
jeder Mensch und Lebenswesen in der Evolutionstheorie aber auch in fast jeder
Religion hat. Vermehre Dich – und – vor allem in zivilisierten Gegenden - gib
dem Ding einen Namen. Auch dieser Walter wird Walter werden, auch ihn wird es
jucken und keiner will ihm zuhören und einer erbettelt sich eine Nacht in der
Notschalfstelle oder einen Joint am Aareufer und Walter wird das vielleicht nerven
– auf jeden Fall ein ganz klein wenig.
Die Walter werden Walter bleiben und die nobleren Joachims oder
Hans-Günther fahren nicht Bus, werden also auch nicht angequatscht (oder
jedenfalls nicht dort und unter diesen miesen Umständen) und kutschieren ihre
Nobelfahrzeuge mit Plugin-Hybrid fast geräuschlos von Tiefgarage zu Tiefgararge
und stellen – trotz oder dank ein paar helfenden und hochwirksamen Medikamenten
fest – dass es ihnen eigentlich ganz gut geht, also ganz so gut zwar schon
nicht aber eben halt auch gut genug um sagen zu können, wir könnten ja jammern,
klagen oder wehleiden – auf sehr hohem Niveau – aber besser noch wir heben das
Glas voll perlendem Saft und sagen: kein Thema!
PS: Walter sah am darauf folgenden Sonntag vor der Kirche, wie auch
der Joachim mit seiner hübschen blonden Frau mit einem Rock, der vielleicht ein
ganz klein wenig knapp aber dennoch in dezentem Schwarz da war. Und dann dieses
aufreizende Lächeln und der junge kecke Bub mit Namen Hans-Günther. Und wie sie
beim Herausgehen aus dieser Kirche und nach dem herzhaften Händedruck mit dem
Priester ein Etwas in die Schatulle gleiten liessen, das weder Klang und noch
Nachklang hervorrief sondern nur den diskreten Beifall des Priesters. Darf man
ja auch – auch in der Kirche – kein Thema. Und der Gemeindepräsident wartete
noch ein bis zwei Minuten, bis er den Schlüssel seines PlugIn Hybrids drehte
und Erfriede am Bord-Computer den Song
The
Rolling Stones - Sympathy For The Devil -HQhttps://www.youtube.com/watch?v=vBecM3CQVD8
verhalten leise startete.
Elfriede atmete Nostalgie, Jugendbilder und
den Duft spätpubertärer Rebellion ein und lehnte sich in dieser noblen und zurückhaltenden
Stille zurück, schloss ein ganz klein wenig ihre Augen und überlegte sich, wo
sie die Petersilien dieses Jahr anpflanzen sollte. Vor dem Haus oder hinter dem
Haus und sie war sich auch nicht mehr ganz so sicher, wie die Nachbarschaft der
Petersilien zum Basilikum oder wie die Verträglichkeit mit der „Kaiserin Farah“
war. Vermutlich etwa so wie die Nachbarschaft zu Schärrers auf der linken Seite
und Hammers auf der rechten Seite. Schärrers hatten zwar den wesentlich
grösseren Schwimm-Pool, dafür überzeugten Hammers mit diesem traumhaften und
auf noble Art stilvoll eingerichtete Wintergarten – ausgelegt für laue
Sommernächte mit ein wenig Nieselregen. Das ging immer schon so – und es ging
doch eigentlich ganz gut so – der in der Mitte macht die Brücke – zwischen
Basilikum und Petersilien oder einem edlen Rosenstrauch und Nachbarn, die sich
nicht verstehen – nie verstehen werden. Aber, denkt Elfriede, wir arbeiten
daran … kein Thema. Nur kurz schweifen ihre Gedanken ab und sie muss wieder
daran denken, wie sehr sie ihren Namen nicht, ja gar und eigentlich überhaupt
nicht mochte. Aus Elfriede machte ihre Mutter gar eine Elfie, auch als sie
schon 16 oder vielleicht noch schon etwas älter gewesen sein musste. Peinlich !
Und vielleicht waren auch die Petersilien unglücklich über ihren Namen. Doch was
kümmert das eine als Dekoration hübsch auf dem Teller hergerichtete Petersilie
denn noch ? Und … denkt gerade jetzt die Elfriede, wie geht’s wohl dem Walter
aus der 5. Klasse von damals. Wird wohl auch kein einfaches Leben gefunden
haben, bei den Voraussetzungen des Elternhauses und anderer widriger Umstände.
Vom Grill her duftete das Brathähnchen.
zu den Autoren - mehr über diesen Blog: http://m3wg.blogspot.ch/2012/12/idee-konzept.html
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